Juli 1973

Ausflug zum Kilimandjaro

Foto aus Merianheft

Peter und ich sind in den Sommerferien für drei Wochen nach Kenia gereist. Meine Schwester Elfie und ihr Mann Reinie wohnten ca. drei Jahre in Nairobi, wo wir immer wieder logieren konnten. Sie konnten uns gute Tips und Infos geben.  10 Tage lang mieteten wir einen Peugeaut und besuchten fast alle Nationalpärke und übernachteten im Auto auf den Campingplätzen neben den Lodges. Meist waren es Wiesen ohne Zaun und manchmal hatte es sogar einen Wasserhahn. Nachts weideten Nashörner und Büffel um unser Auto herum und manchmal erwachten wir mitten in einer Zebraherde.

Wir hatten uns auch vorgenommen den Kilimanscharo zu besteigen, doch zuvor reisten wir an die Ostküste am indischen Ozean um zwei Tage zu faulenzen und baden.

Wieder müssen wir unser hiesiges Heim in Nairobi bei Nacht und Regen verlassen. Wir sind schon zeitig an der Busstation. Diesmal finden wir unsere vorgebuchten Plätze, sie sind gerade hinter dem Chauffeur. Bald nach Nairobi verlassen wir die grosse Strasse nach Mombasa und fahren quer über die Hochebene Richtung Namanga. Irgendwo in dieser Weite steht plötzlich so ein Massai am Strassenrand und winkt wie ein Wilder. Der Chauffeur hält an und nimmt ihn mit. Angestrengt schauen wir nach draussen, ob wir nicht doch  irgendwo die uns wohlbekannten Lehmhütten entdecken können, aber so weit unser Auge reicht ist keine menschliche Siedlung zu entdecken. Er scheint tatsächlich aus dem Nichts gekommen zu sein. An einem genau so öden, verlassenen Ort. wie er eingestiegen ist, will er auch wieder raus. Ich hätte diese beiden Stellen in der eintönigen Savanne bestimmt nicht voneinander unterscheiden können, aber er scheint es besser zu wissen. Auf dieser Strecke gibt es nur wenige Stationen. In Namanga geht das langwierige Zollritual 'wieder von statten. Nur mit dem unterschied, dass jetzt auch noch unsere  ungefähr 4o Mitreisenden vor uns in der Schlange stehen. Uns wird die ganze  Prozedur zu lange. Peter zeigt nur seinen Pass und stellt unser Gepäcke heimlich wieder in den Bus zurück, aus dem wir vorher alles ausladen mussten. Niemand merkt den Trick, und so sitzen wir schon lange wieder friedlich im Bus, als die ändern von ihrer Kontrolle zurückkommen. 

So gelangen wir unbehelligt über die Grenze. Auf dem Weg nach Arusha sehen wir ihn endlich: den Kilimanjaro. Über einem Wolkenkranz erscheint uns die schneebedeckte Kappe unheimlich hoch. Vielleicht etwa 4ooo m höher als unser jetziger Standpunkt. Mir wird doch etwas fahl in der Magengegend, wenn ich daran denke, was wir uns vorgenommen haben. Bald ist er  unseren Blicken wieder entschwunden und wir nähern uns dem Meru. Wie schon bei der letzten Fahrt bläst ein scharfer Wind in dieser Gegend. Doch diesmal ist er ein kleiner Sandsturm. Es ist imposant, wie grosse Sandhosen in rasantem Tempo über Erdoberfläche huschen. Der Bus muss gegen den Wind  ankämpfen. Man merkt gerade wie der Motor Mühe hat.  Wir werden alle von feinem Sand, überpudert, der durch alle Ritzen eindringt. Gegen Arusha zu lässt der Wind wieder nach. Auf der letzten Teilstrecke zwischen Arusha und Moshi, entlang den beiden grossen Vulkanen Kilimandjaro und Meru ist das Land sehr fruchtbar. Bananen-, Kaffee- und Tomatenplantagen ziehen sich endlos  lang zu beiden Seiten der Strasse. In Moshi sind wir zuerst etwas ratlos, weil es keine öffentliche Busverbindung nach Marangu gibt, von wo aus  unser Trip starten soll. So nehmen wir denn mit einem älteren Amerikanische Ehepaar zusammen, die sich in dieser Gegend mit etnologischen Studien  beschäftigen wollen, einen Taxi. Da die beiden auch nicht gerade wenig Gepäck haben, gibt das im Peugeaut 3o4 eine richtige "Gugelfuhre". Da wir uns in Marangu, das nur ein kleines Dorf zu sein scheint, nicht auskennen, bleibt uns nichts anderes übrig, als im teuren Marangu-Hotel zu übernachten, das uns auch Führer und Träger organisiert. Das Hotel ist im englischen Kolonialstil mit Innenhof und grosser Veranda erbaut; alles nur einstöckig. Die Dame in der Reception ist über uns als Gäste nicht besonders erfreut. Da nützt auch  das vollgestopfte Taxi aus dem wir aussteigen nichts. Hohe Schuhe, verdreckte Jeans und vollgepackte Trämpergestelle sind einfach nicht  ihr Niveau. Als wir gar noch das billigste Zimmer - Halbpension, ohne Bad, für 80 Chs nehmen, sind wir natürlich völlig out. Da wir für unser Geld auch gerne etwas haben, setzen wir uns gleich auf die Veranda, bestellen beim Kellner, der wie alle seine Kollegen die Gäste mit einem völlig unbeweglichen Gesichts-ausdruck bedient, Tee. Das aufgestellte Gebäck ist bei  uns auch bestens aufgehoben. Tea time Imbiss ist nämlich im Preis eingeschlossen. Also, die wenigen anderen Gäste sind wirklich feiner als wir. Ein lautes Wort oder gar ein Lachen hört man nicht. Sogar den paar Kindern, die darunter sind, haben sie diese Eigenschaften offensichtlich aberzogen. Dafür kommt man zum Dinner in Schale, das sowohl punkto Quantität als auch Qualität nichts besonderes ist. Wir sind uns einig, dass für unsere Begriffe die Atmosphäre hier zwischen Sanatorium und Irrenhaus schwankt. Am Abend macht uns die Besitzerin noch mit den anderen Expeditiosteilnehmern bekannt, die morgen mit uns starten sollen. Sie gehen alle "easy-way" d. h. das Marangu-Hotel arrangiert für sie alles, Träger, Führer, Ausrüstung, Essen. Sie reisen, also sozusagen in Vollpension. Wir bringen alles selbst mit. Für uns amtiert das Hotel nur als Vermittler für Führer und Träger. Wenigstens heben sich 2 Leute einigermassen positiv von den übrigen Hotelgästen ab. Zwei grosse Amerikaner zwischen 30 und 40  mit Bart». So im Stile von passionierten Weltenbummlern. Sie sind denn auch, wie sie uns erzählen, schon längere Zeit in Afrika, Der eine arbeitet  als Universitätsprofessor inTanzania, der andere scheint keinen besonderen Beruf auszuüben. Sie stellen sich uns als Rod und Allen vor, was in angenehmem Kontrast zu der steifen Umgebung steht. Dann sind noch zwei junge Belgier, die allerdings so bleich und kraftlos aussehen. Sie leben auch schon 2 Wochen in diesem Hotel um sich zu anklimatisieren, wie sie sagen. Beim abendlichen Kaminfeuer unterhalten wir uns noch über allerlei und wir merken wie in uns die Spannung steigt, je mehr wir vom morgigen Abenteuer sprechen.

Nach dem Frühstück gibt es noch eine endlose Warterei bis alles bereit ist. Die Besitzerin des Hotels macht noch eine Informationssitzung; was man alles auf der Tour beachten soll. Der Gedanke an die dünne Luft macht jetzt schon Atembeschwerden, und das auf 15oo Meter! Auch unsere beiden Amerikaner bekommen es mit der Angst zu tun, als wir von all denen hören, die es nicht geschafft haben, ja sogar ihr Leben lassen mussten, weil sie ihr Herz zu sehr überanstrengten.

Endlich ist unser Führer angekommen. Er ist entsetzt darüber, wie wenig Proviant wir mitnehmen wollen. Aber Reinie's Ratschläge haben, uns sparsam berechnen lassen. Ein Träger trägt 2o kg und das in einer Holzkiste, die allein 6 kg auf die Waage bringt.

Der Führer trägt nichts und benötigt einen Träger für seine eigenen Bedürfnisse. Schlafsacke, Kleider und einige Nahrungsmittel tragen wir selbst.  Wir haben offensichtlich vorsichtig gerechnet. Die Holzkiste des einen Trägers, der für uns bestimmt ist wird nur halbvoll. Der Führer fordert uns auf wenigstens die Kiste ganz zu füllen. Aber wir können uns nicht entschliessen diese allzu schwer zu machen. Der arme Kerl, der sie nachher auf dem Kopf tragen muss. Irgendwie erscheint es uns ein Makel, dass jemand anders unseren Ballast tragen soll. Anders sieht es bei unseren beiden Bergsteigerkollegen aus. Die vom Hotel zur Verfügung gestellten Schlafsäcke mit Matratze, benötigen fast alleine einen Träger. So bringen sie's denn auf 2 Führer und 5 Träger. Dazu kommt noch eigens ein Koch, der auf dem Kopf eine ganze Küchenausrüstung balanciert. Selbst unsere beiden Amerikaner sind von der Grösse ihrer Expedition überrascht. In ungewohnten Schuhen und Kleidern,  auch sie sind vom Hotel bereitgestellt - bringen sie nur noch ein verlegenes Lächeln zustande. Dann gibt es noch ein kleines Gruppenfoto von den Abenteurern.

      Allen          Rod     Peter   Koch                 

Darauf setzt sich die stattliche Karawane in Bewegung, Wir steigen bergauf an Bananen- und Kaffeesträuchern entlang. Von der Spitze aus sieht man all die grünen Kisten, die langsam nach oben schwanken, getragen von Afrikanern mit billigen Plastikstiefeln oder kaputten Turnschuhen an den Füssen. Der Koch noch in kurzen Hosen. Mir tun die Kerle leid, die in diesem Aufzug bis auf 45oo Meter mit uns steigen sollen. Die Führer haben wenigstens anständige Schuhe und Kleider. Bis in die erste Hütte können wir einem Pfad folgen, der bei trockenem Wetter noch vom Landrover befahren werden kann. Nach den Plantagen folgen saftige Weiden mit Schafen und Kühen. Es sieht fast wie zu Hause aus. Doch plötzlich stehen wir vor einer hohen grünen Wand, dem Bergurwald. Da wir erst um 11 Uhr gestartet sind, gibt es hier bereits Mittagsrast. Der weitere Weg geht zwischen zwei grünen Wänden entlang. Nirgends eine Lücke im Blattwerk zu entdecken. Die hohen Bäume sind von Kletterpflanzen umrankt. Die Luft ist schwül und stickig. Die Kleider kleben klatschnass am Körper. Dicht am lehmigen Weg wachsen, mehr als mannshohe Farne und Bärlauchgewächse. Für einen Botaniker sicher sehr interessant. Doch - beinah wären wir daraufgetreten - ein kleines Chamäleon auf dem Weg. Der Boden hat noch weitere interessante Dinge zu bieten. Ein Stück weiter haben die Wanderameisen eine Querstrasse zu unserem Weg errichtet. Während endlose Scharen von Arbeiter über die Strasse eilen ist der Rand von grossen Kriegern gesäumt. Unser Führer hält einen Finger hin, worauf sich prompt einer der todesmutigen Kerle darin festbeisst. Obwohl seine Bergführerhände sicher eine dicke Haut haben, blutet er, als er die Ameise wieder losreisst.

Plötzlich kommt uns ein Bergsteiger entgegen. Sichtlich mitgenommen fragt er uns wie weit es noch sei nach Marangu. Ohne ein weiteres Wort auf unsere Antwort zu sagen torkelt er weiter. Es muss doch ziemlich anstrengend sein diesen Berg zu besteigen. Als der Wald sich lichtet erblicken wir die Mandara Hütte, ein Steingebäude mit Blechdach.

Mandara-Hütten

Im Innern eiserne Kajütenbetter mit einer dünnen Matratze über dem Drahtgeflecht. Wir leisten uns noch ein Pepsi Cola, weil das für einige Tage das letzte bleibt, das wir kaufen können. Gegen Abend treffen noch Amerikaner ein, 2 Männer, eine Frau und ein ca. 10 jähriges Mädchen. Sie haben weder Führer noch Träger und sind von ihrem schwerbeladenen Aufstieg schon ziemlich mitgenommen. Das Abendessen gibt einiges zu lachen. Nicht nur dass unsere beiden Kollegen ein ganzes Menü mit Suppe vom Führer serviert bekommen, es wird auch noch ein schmutziges Handtuch auf dem Holztisch als Tischdecke ausgebreitet. Vor dem Hintergrund dieser Steinhütte mit Wellblechdach wirkt das Ganze wie ein Ulk. Ausgerüstet von einem andern Hotel ist noch eine Gruppe aus Deutschland da, die auf die selbe Weise bewirtet werden, nur mit dem Unterschied, dass diese offenbar dabei nichts Besonderes finden. Sie stehen dann auch bei der abendlichen Unterhaltung, die der Temperatur wegen bald in den Schlafsack verlegt wird.

Den Z'morge nehmen wir im Schlafsack ein, der Kälte wegen. Draussen herrscht strahlender Sonnenschein. Noch ist alles klatschnass vom Reif. Um 8 Uhr beginnt der Aufstieg, der uns wieder in den Urwald hineinführt. Nur noch ein mannbreiter lehmiger Pfad führt steil nach oben. Wir sind praktisch ganz im Schatten, nur selten findet ein Sonnenstrahl den Weg bis auf den Boden.

Regenwald

 Das Licht ist gespenstig grün-dämmrig. Die Luft klebt förmlich und der Pfad ist glitschig. Die Bäume hängen voller Flechten und machen so einen fast urweltlichen Eindruck. Zum Glück dauert dieser anstrengende Aufstieg nicht allzu lange. Um 9 Uhr stehen wir plötzlich in der Sonne. Vor uns breitet sich ein mit Gras und Blumen bewachsener Hang aus. Hoch über uns thronen die zackigen Felsen des Mawenzi. Einige Nebelfetzen ziehen an ihnen vorbei. Sie scheinen noch unheimlich weit. Dabei ist der Mawenzi ja nur der kleine Bruder des Kibo, des Hauptgipfels, den wir besteigen wollen.

In der Schweiz wären wir mit den 3ooo Meter, die wir jetzt ungefähr erreicht haben sicher schon fast oben. Wieder kommen uns Gruppen entgegen, die schon oben gewesen sind. Meist voraus einige schwatzende Träger und dann einiges später mühsam sich auf ihre Gehstöcke stützende Gestalten, deren physischen Zustand man schon von weitem beurteilen kann. Ich getraue mich denn auch nicht die Leute zu fragen, um nicht noch mehr an unserem Erfolg zu zweifeln. Der frische Wind lässt uns hier leichter steigen und bald werden wir von Nebel eingehüllt. Der Rest des Aufstiegs erfolgt im dichten Nebel. Man verliert so jedes Gefühl für Distanz, Höhe und Zeit. Das Gras am Wegrand ist kleinen Sträucher gewichen. Plötzlich tauchen aus dem Nebel ein paar dunkle Umrisse auf.

Blech-Hotel Horombo

Es sind die Wellblechbauten der Horombo Hütte. Die beiden, die nicht verrostet sind, stehen für die Touristen bereit. Die andern sind für Führer und Träger. Unsere Hütten bestehen wirklich nur aus  Wänden, einem Dach, einem Holztisch mit Bänken und Sperrholz-Gestellen an den Wellblechwänden, die offensichtlich als Schlafstätten dienen. Jetzt verstehe ich plötzlich die Matratzen, die das Hotel seinen Gästen mitgibt. Mir tut der Rücken schon weh beim blossen Anblick dieser nackten Bretter auf denen wir liegen sollen. Dazu kommen noch berechtigte Befürchtungen wegen der Kälte. Hier drin wird es wahrscheinlich kaum wesentlich wärmer werden als draussen. Diesem Übel haben die Träger in ihrer Unterkunft abgeholfen. Aus mitgebrachtem Holz knistert munter ein Feuerchen und vertreibt die garstige Kälte. Doch die Sache hat einen Haken, die Hütte besitzt keinerlei Kamin. Aber der Rauch, der mich nur schon beim Hereinschauen zum Husten reizt, scheint sie gar nicht zu stören. Da mir nichts weiter zu tun bleibt und ich ausserdem friere, krieche ich in meinen Schlafsack.

Gegen Abend beginnt die Sonne durch den Nebel zu drücken. Hinter dem zurückweichenden Nebel zeigt sich die in der Sonne gleissende Schneekappe des Kibo. Obwohl wir schon auf 3700 m sind können wir immer noch mehr als 2ooo m nach oben schauen. Dieser Anblick treibt alle aus der Hütte und gemeinsam bestaunt man den fernen Gipfel. Mit Rod und Allen stolpern wir in der wärmenden Abendsonne noch ein bisschen in der Umgebung der Hütte herum. Um das kleine Rinnsal, das hinter den Hütten durchführt, steht eine Gruppe eigenartiger Pflanzen.

Peter bei den einzigartigen Pflanzen, die es nur hier geben soll.

Von weitem sieht es aus wie riesige Kaktusse, aus der Nahe besehen gleichen sie eher einer Hauswurz, die versehentlich in die Höhe gewachsen ist. Ungefähr 5o cm dick und bis zu 3 m hoch stehen sie da wie Sagengestalten in einem Märchen. Nachdem die Sonne untergegangen Ist, kann uns auch das Abendessen nicht lange darüber hinwegtäuschen, dass es hier bitter kalt ist.

Am Morgen tauchen immer mehr vermummte Gestalten auf, stampfen mit den Füssen und rudern mit den Armen und schauen dann wieder Richtung Mawenzi, ob nicht bald die Sonne auftaucht. Nachdem schon fast alle draussen versammelt sind, tut sie uns endlich den Gefallen. Wir lassen einen Träger mit einem Teil unserer Sachen hier zurück. Von hier an muss aber noch das Wasser mitgetragen werden, weil die letzte Wasserstelle kurz oberhalb dieser Hütte liegt. Um 8 Uhr wird wieder gestartet, Wir steigen jetzt zum Sattel auf, der sich zwischen den beiden Gipfeln Kibo und Mawenzi spannt. Trotz der schon etwas dünneren Luft kommen wir gut voran. Die Vegetation ist etwa wie bei uns in den Alpen oberhalb der Baumgrenze. Die einzelnen Grasbüschel beginnen mit zunehmender Höhe weiter auseinander zu wachsen. Unterwegs bekomme ich ein blödes Gefühl im Magen und muss kurz ausruhen um Schockolade zu essen. Nach einer Rast habe ich wieder das Gefühl Bäume ausreissen zu können und bald sind mir die andern zu langsam. Doch schon in der nächsten stärkeren Steigung beginnt mir das Blut in den Ohren zu pochen, die Beine werden schwer und schwerer und so muss ich schon nach wenigen Meter einen Gang zurückschalten. Sobald ich wieder langsamer gehe fühle ich mich wieder prima. So 4ooo m sind eben doch nicht ganz ohne. Aber solange man sich nicht stark anstrengen muss merkt man das gar nicht. Im Gegenteil, die Luft wirkt frisch und leicht und man kann richtig tief durchatmen. Auf dem Sattel angelangt, auf etwa 43oom ist die Vegetation fast schlagartig fertig.

Der unendliche Sattel

Ein steifer Wind pfeift zwischen den 2 Bergriesen durch. Am ändern Ende, des mehrere km breiten Sattel sieht man am Fusse des ungeheuren Schuttkegels Kibo: ein paar winzige Hütten kleben. Jetzt erst wo ich keine Pflanzen mehr sehe, wo es an der Sonne kalt ist und die Gletscher die den Kraterrand des Kibo säumen schon deutlich zu erkennen sind, fühle ich so richtig wie hoch ich mich eigentlich befinde. Wieder streben eine Gruppe schwatzender Träger dem Tale zu. Mich nimmt bloss Wunder, woher die Kerle die Luft nehmen um in dieser Höhe beim gehen noch die grössten Diskussionen führen zu können. Nicht genug; einer ist dazu noch barfuss. Dabei habe ich schon, kalte Füsse in den Schuhen. Nach einer Weile kommt uns ein Paar entgegen. Die Frau plumpst erst einmal auf den nächstliegenden Steinbrocken und nimmt erst nach längerem Verschnaufen am Gespräch teil. Die Frau bestätigt  leider, was schon Reinie und andere gesagt haben, dass der Magen in dieser Höhe sozusagen nichts mehr verdaut. Jedenfalls habe sie die ganze Nacht gekotzt. Ein schrecklicher Gedanke für uns fast nichts essen zu dürfen, dabei haben wir bereits wieder Hunger. Während wir den Sattel überqueren beginnt der Wind immer stärker zu blasen. Die Kibo Hütte ist wieder im Nebel verschwunden und bald darauf sind wir auch mitten drin.

 

Peter

Wir machen hinter einem grossen Felsbrocken mit unserem Träger und Führer Rast. So sind wir wenigstens etwas vor dem Wind geschützt. Als tief vermummte Gespenster kauern wir uns gegen den Felsen. Die Kälte veranlasst uns bald wieder zum Aufbruch. Kaum sind wir einige Schritte gegangen, zerreist der Nebel plötzlich und nur etwa 2oom vor uns sehen wir die Hütte. Das wäre aber wirklich nicht nötig gewesen hier noch abzusitzen so kurz vor dem Ziel , sagen wir uns. Doch 5o Meter später stehen wir schon wieder still. Wir können es fast nicht fassen, aber unsere Beine haben einfach nicht mehr weiter gewollt. Dabei sehen wir die Hütte doch so nahe vor uns. Sobald wir stillstehen, können wir eigentlich nicht verstehen warum wir angehalten, haben. Aber schon nach wenigen Schritten haben wir nur noch einen Wunsch nämlich wieder stillstehen zu dürfen. Ich kann meine Beine nicht mehr verstehen, bei der kleinsten Anstrengung fühlen sie sich schon wieder wie Blei an. So müssen wir denn noch 3 mal Kapitulieren bevor wir jene langersehnten Hütten erreichen. Diese letzten paar Meter, wo das Gelände stärker ansteigt, hat uns richtig in die Knochen gehauen.

Die Kibo-Hütte unterscheidet sich kaum von der Horombo. Also wieder eine harte und kalte Nacht. Zuerst essen wir aber vorsichtig doch ein wenig. Zuerst etwas Bouillon, dann ein wenig Pumpernickel und Büchsenfleischkäse, die wir so langsam und gründlich durchkauen wegen der besseren Verdauung.

Wir setzen uns unter den Eingang der Hütte. So in der Sonne sitzend fühlen wir uns wieder ganz gut. Hinter den Hütten wachsen noch 2 einsame Grasbüschel und das hier höher als die Dufourspitze. Nachdem die Sonne hinter dem Kibo verschwunden ist, ist der angenehme Teil des Aufenthalts eindeutig vorbei. Bald wird es bitter kalt und es bleibt uns allen nichts anderes übrig, als in unsere Schlafsäcke zu kriechen. Es werden die mannigfaltigst Methoden entwickelt um sich gegen die Kälte zu schützen. Rod und Allen nützen es aus, dass ihnen das Hotel mehrere Pullover und Hosen mitgegeben hat und ziehen einfach alles übereinander an, sodass sie aussehen wie ausgestopfte Puppen.

Komisch, heute Abend habe ich gar keinen Hunger. Mir ist, wie wenn ich gerade gegessen hätte, und je länger ich auf meinem Brett liege, desto mehr habe ich das Gefühl eigentlich zu viel gegessen zu haben. Der Gedanke an Pumpernickel erscheint mir plötzlich höchst unerfreulich.

Um 2 Uhr sollen wir aufstehen um bei Sonnenaufgang den Gipfel zu erreichen, aber die Zeit will und will nicht vorrücken. Mit dem Nicht-schlafen-können habe ich mich bereits abgefunden, aber dass meine Aversion gegen Pumpernickel immer stärker wird bereitet mir Sorgen. Ab und zu kann ich diesen üblen Gedanken loswerden, wenn Kälte und der schmerzende Rücken meine Aufmerksamkeit wieder auf sich ziehen. Doch mit penetranter Regelmässigkeit kommt dieses Anti-Pumpernickel-Gefühl wieder in mir hoch. Verzweifelt schaue ich wieder auf die Uhr, aber die Zeit scheint ebenfalls eingefroren zu sein.

Unsere Hüttengenossen scheinen sich auch nicht besser zu fühlen. Rod der sonst schön schwarz ist, wirkt heute mehr grau. Als ich unseren Wasserbehälter sehe, der sich nach aussen biegt, weil sein Inhalt pickelhart gefroren ist, wird mir die Kälte in der Hütte erst richtig bewusst. Ich versuche etwas Schokolade und eine Orange zu essen, obwohl mir gar nicht danach ist, aber ich muss diesen Pumpernickel-Geschmack einfach irgendwie loswerden.

 Als gestartet wird, ist uns nach allem andern, als nach Bergsteigen zu Mute. Nur den Fotoapparat nehmen, wir mit. Aber die Gewichtserleichterung wird durch das steile Schottergelände, das gerade hinter der Hütte ansteigt mehr als überkompensiert. Es ist stockdunkel und eiskalt. Nur die Laterne unseres Führers lässt einige wenige Meter in einem gespenstigen Lichte sichtbar werden. Unter und über uns schwanken weitere Lampen durch die Dunkelheit. Je steiler der Pfad wird, desto kürzer werden unsere Etappen von Halt zu Halt. Der Puls trommelt dumpf im Schädel, während der Atem immer schneller geht, um möglichst viel Luft in die Lungen zu pumpen.

Fast oben, das heisst, ca. 200m unter dem Kraterrand, sehe ich einen Felsvorsprung  unter dem ich eine Rast machen  will. Ich kämpfe mich die 20 Meter ohne Halt nach oben und setze mich erschöpft auf einen Stein in der Windgeschützten Höhle. Ich schnaufe und schnaufe, als müsste ich ein Gummiboot aufblasen. Nach einer Viertelstunde, ich bin schon ganz müde vom schnaufen nehme ich ein sugusähnliches Coraminzeltli. Inzwischen sind die andern auch angelangt, doch ich kann mich einfach nicht erholen, mir ist kotzübel und alles ist mir völlig egal. Ich denke mir, hier oben wäre ein guter Platz zum Sterben, hier gibt es keine Emotionen, die einen zurückhalten wollen.

Peter und die andern gehen weiter, aber ich bleibe noch eine weitere Viertelstunde; langsam kann ich wieder in einen für hier normalen Atem-Rhythmus übergehen. Ich beschliesse umzukehren. Mit jedem Schritt, bei dem ich Höhe verliere, geht es mir spürbar besser. In 20 Minuten bin ich bei der Hütte und warte dort auf Peter und den Führer.

 

 Unser Führer auf dem Gipfel von Peter fotografiert

Dann geht es über den unendlich langen Sattel wieder zurück. Am Ende des Sattels machen wir Rast. Peter ist so kaputt, dass er sogar das Angebot des Führers, ihm den Rucksack ein Stück zu tragen, nach kurzem Ablehnen doch annnimmt, weil er einfach nicht mehr fähig ist ihn selbst wieder auf die Schultern zu heben. Sobald wir gegen die Horombo-Hütte herunterkommen fühlen wir uns wieder besser.

Die Horombo-Hütte sollte eigentlich unser Tagesziel sein, aber der Widerwille, den wir gegen unsere eigenen Esswaren hegen, ist so gross, dass wir beim bestem Willen ausser Bananen nichts mehr von dem Zeug herunterbringen bringen können. Nicht einmal Kaffee, weil die Plastiktasse noch nach Suppe riecht, die wir in der Kibo-Hütte gegessen haben.

Der schreckliche Gedanke einen ganzen Tag nichts essen zu können und die Nacht wieder auf einer so harten Pritsche verbringen zu müssen, bringt uns auf die Idee, doch heute noch bis ins Hotel zurückzugehen zu versuchen, oder wenigstens bis in die Mandara-Hütte, wo wir weicher schlafen könnten. So machen wir uns bald wieder auf die Socken, Von nun an geht's bergab, kann man sagen und zwar stundenlang und es will und will nicht aufhören hinunter zu gehen. Nachdem wir trotz schwachen Beinen den Regenwald ohne  Sturz auf den glitschigen Untergrund hinter uns gebracht haben, trinken wir in der Mandara-Hütte noch eine Cola.

Der Führer sammelte unterwegs Kräuter und Blumen und hier bei der Rast überreicht er Peter feierlich ein Kranz oder Krone aus diesen Bergkräutern. Ich bekomme einen Blumenstrauss. Das sei eine Tradition, dass alle die den Gipfel erreicht haben, den Ehrenkranz bekommen.

Bei mir kommt schon ein wenig Frust auf, weil ich nicht zu oberst war. Doch wäre ich weiter gestiegen und einen ernsthaften Zusammenbruch erlitten hätte, wäre ich für die andern zum Problem geworden. Aus dieser Sicht, bin ich auch froh, nicht so ehrgeizig zu sein.

Dann beschliessen wir, weil wir noch nicht ganz am Ende sind, weiter zu gehen bis ins Hotel. Wir begegnen einigen Gruppen im Aufstieg. Ich habe das Gefühl förmlich zu spüren, wie meine Füsse platt und platter werden. Nachdem wir 4400 m hinunter und über 5o km weit marschiert sind, torkeln wir beim Einnachten ins Hotel. Ich wundere mich, dass ich mich überhaupt noch auf den Beinen halten kann. Aber es dauert noch eine ganze Weile bis wir uns von unseren Afrikanischen Begleiter verabschiedet haben.

Nach einem warmen Bad, das wie ein wunder wirkt, gehen wir zum Dinner und geniessen wieder ein normales Essen. Die Übelkeit hat sich im Laufe des Abstieges verflüchtigt.

Nach einem tiefen guten Schlaf erwache ich und Peter sagt, er könne nicht aufstehen, sich nicht bewegen.

Ich will auf und nach ihm sehen, aber nichts geht mehr, jeder Muskel den man anspannen will reagiert mit stechendem Schmerz. Wir brauchen eine Ewigkeit bis wir auf und angekleidet sind. Wir bewegen uns wie zwei alte gebrechliche Männlein.

Wieder nehmen wir ein Taxi nach Arusha und weil der Bus nach Nairobi erst am Abend abfährt, haben wir den ganzen Tag Zeit, um den kleinen Ort anzusehen. Es ist gerade Markttag. Am Nachmittag, gehen wir ins Kino, den Film weiss ich nicht mehr, aber es war angenehm dunkel und kühl für ein Nickerchen.

Auf dem Hinweg kamen an jeder Haltestelle fliegende Händler mit Gebäck und Früchten, doch wir hatten unsern Proviant dabei und konnten deshalb diese einheimischen Spezialitäten nicht versuchen. Wir vertrösteten uns auf die Rückreise und verzichteten nun auf ein Abendessen. Zu unserer Enttäuschung fuhr der Bus die ganze Nacht, ohne Zwischenhalt durch.

Ankunft in Nairobi 05:30 Uhr, kein Proviant und kein Zwischenhalt, aber auch keine Kena-Schilling.

Ein Strassen-Wechsler lud uns zu einem Kaffee ein, doch weil er den Kurs von Schweizergeld nicht kannte, verzichtete er auf einen Deal mit uns. Um acht konnten wir im Hilton Hotel, so verschmutzt wie wir waren, in den Polstersesseln der Eingangshalle warten, bis um neun die Wechselstube öffnete. Als wir dann Geld hatten, wurde schnellstens für Essbares gesorgt und dann wieder zurück zu Elfie und Reinie.

Beim Rückflug gab es ca. vier Stunden Verspätung, wegen Gewitter, wurde uns mitgeteilt. Eigentlich sollten wir in Bengasi (Libyen) Zwischenlanden, doch wir mussten nach Kairo ausweichen. Zu Hause konnten wir dann lesen, das Terroristen in dieser Nacht ein Jumbo-Jet in die Luft gesprengt hatten.

 

20. Juli 1973, Bengasi : Kurz nach dem Start einer Boeing 747 der Japan Air Lines auf dem Weg von Amsterdam in die USA kapern fünf Terroristen die Maschine mit 155 Menschen an Bord. Die Terroristen, bestehend aus Palästinensern und Mitgliedern der japanischen Roten Armee, fordern die Freilassung von Kozo Okamoto und danach fünf Millionen Dollar. Unmittelbar nach der Entführung stirbt eine Hijackerin bei der Explosion einer ihrer Handgranaten, der Chefsteward wird dabei verletzt. Nach tagelangen Verhandlungen in Dubai fliegen die Terroristen weiter ins libysche Bengasi, wo sie nach der Evakuierung die Maschine sprengen.